Jeder Mensch ist Teil (s)eines sozialen Systems – das zu verstehen sowie einen Anhaltspunkt dafür zu erhalten, wie ich als Teil des Systems meine verschiedenen Rollen so ausgestalten kann, dass mein Einflussbereich wächst, ist für mich Kern einer systemischen Perspektive.
Viele Menschen haben die vergangenen Monate die Erfahrung gemacht, dass die Auswirkungen von Corona beispielsweise auf die Arbeitsbedingungen, die Planbarkeit des wirtschaftlichen Erfolgs oder auch die individuelle Zufriedenheit von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zum Teil massiv sind.
In meiner Arbeit als Coach und Berater haben mir Stephen Covey‘s ‚7 Wege zur Effektivität‘ wieder einmal gezeigt, worauf unser immer wieder ‚unscharf‘ werdender Fokus liegen sollte. Grundsätzlich ist eines der vielen Konzepte im Buch recht einfach darzustellen und zwar über zwei Fragen:
1 – „Worauf hast Du direkten Einfluss?“ und
2 – „Was ist der Bereich, der Dich zwar interessiert (und über den Du Dich möglicherweise ärgerst oder gar aufregst), aber auf den Du keinen Einfluss hast?“
Kurz gesagt, geht es hier um den Unterschied vom ‚Circle of Concern‘ (Einflussbereich) auf der einen sowie dem ‚Circle of Interests‘ (Interessensbereich) auf der anderen Seite.
Der Gedanke, den Stephen Covey seinen Leser mitgibt, ist dabei recht simpel: Verschwende Deine Zeit nicht damit, Dich auf Themen oder Dinge außerhalb Deines eigenen Einflussbereiches (‚Circle of Influence‘) zu konzentrieren. Das kostet Dich Zeit und Energie und macht zumindest auf Dauer nicht glücklicher und zufriedener. Warum also, wenn es regnet und stürmt, über das Wetter klagen (das definitiv außerhalb meines „Circle of Influence“ liegt)? Ganz ehrlich, ich bin wahrlich kein Anhänger der ‚Immer-eitel-Sonnenschein-und-bloß-immer-alles-positiv-umdeuten‘-Fraktion; dies wäre für mich weltfremd und jeder und jede soll sich um Himmels Willen auch einmal kräftig über die ‚Dinge da draußen‘ ärgern und sich so psychische Luft verschaffen. Ab einem gewissen Punkt aber hilft uns das nicht mehr wirklich weiter – und vielleicht macht es genau dann Sinn, sich auf das zu be-sinn-en, was auch in gewisser Weise beeinflussbar sowie kontrollierbar ist. Bei schlechtem Wetter also helfen, zugegebenermaßen ein banales Beispiel, wetterfeste Kleidung und ebenso die Umplanung auf mehr Indoor-Aktivitäten.
Stephen Covey umreißt damit für mich wichtige Grundaspekte lösungsorientierten Denkens. Probleme sollen nicht ausgeblendet werden – darum geht es nicht. Vielmehr geht es darum, ab einem gewissen Punkt den Unterschied zu erkennen, ob es (das Problem bzw. die Lösung) innerhalb meines Einflussbereiches liegt oder doch eher meinen Interessensbereich schneidet und ich nicht wirklich etwas tun kann. Dann wird dem Problem eben nicht in epischer Breite Raum gegeben. Und noch viel wichtiger: Auch die Lösungsfindung setzt da an, wo ich wirklich etwas bewegen kann: in meiner eigenen Einflusssphäre und damit wird es pragmatisch und handlungsorientiert. Wir kriegen „ … die Sache dann endlich wieder in den Griff, weil man weiß, wo man anpacken soll.“, wie ein Klient von mir es ausdrückte.
„Die Lösungen innerhalb eines sozialen Systems liegen selten alleine nur bei mir“
Nun liegen meine Lösungen innerhalb sozialer Systeme selten alleine nur bei mir. Jeder ist Teil eines bzw. einer Vielzahl von Systemen. Den sozialen Systemen innewohnende Komplexität macht es für uns oft undurchsichtig, wo die Trennlinie läuft zwischen meinem wirklichen Einflussbereich und meinem Interessensbereich.
Eine systemische Perspektive im Eins-zu-Eins-Gespräch einzunehmen, ist für mich genau dann eine der effektivsten und zugleich anwendungsfreundlichsten Interventionen im Coaching. Effektiv, da ohne viel ‚um den heißen Brei-Reden‘ schnell sichtbar wird, welche Stellschrauben vor einem liegen und welche davon für den ersten Schritt sinnvoll zu betätigen sind. Damit steigt das Erleben meiner Klienten, im tatsächlichen Einflussbereich wieder handlungsfähig zu werden, rasch an. Anwendungsfreundlich, weil es über verschiedene Visualisierungsmöglichkeiten schneller möglich wird, Konstellationen im eigenen sozialen System im wahrsten Sinne des Wortes ‚greifbar‘ und damit auch besprechbar zu machen.
Meine Coaching-Settings der letzten Monate haben mir die Wirkweise dieser systemischen Coaching-Perspektive unter zu Hilfenahme von Aufstellungsmethoden noch einmal mehr denn je verdeutlicht: Verhältnismäßig geringer Zeitaufwand mit hohem Erkenntnisgewinnen – und einer Umsetzungsorientierung genau dort, wo meine Klienten die richtigen Stellhebel für die Veränderung bei sich sowie innerhalb ihres sozialen Systems erkennen.
Hätten Sie mich vergangenes Jahr gefragt, ob es diese Coaching-Perspektive bzw. auch diese Methodenkenntnis im Führungskräftecoaching braucht, hätte ich bereits leidenschaftlich dafür plädiert, denn systemische Perspektiven helfen, den Wald vor lauter Bäumen wieder zu erkennen. Fragen Sie mich allerdings heute – in einer Zeit, in der um so vieles mehr außerhalb unseres Einflussbereiches zu liegen scheint und es mehr denn je darauf ankommt, Wald, Bäume und vor allem ‚Handlungswege‘ darin für sich zu finden – kann ich aus tiefster Überzeugung sagen bzw. schreiben: Es ist für mich unverzichtbar.